Neue Männlichkeit und alte Helden

Organisatoren
Arbeitsgemeinschaft "Theorie in der Archäologie"; West- und Süddeutscher Verband der Altertumskunde
Ort
Nürnberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.05.2010 -
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Von
Jana Esther Fries, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Stützpunkt Oldenburg

Archäologische Geschlechterforschung hat ganz unterschiedliche theoretische Prämissen, die nicht in jeder Arbeit in ausreichendem Maße erläutert werden. Von diesem Befund ist auch die Geschlechterforschung betroffen. Geschlechterforschung oder gender studies ist, nachdem sie in Deutschland lange Zeit vor allem in den Sozialwissenschaften vertreten war, seit geraumer Zeit auch in der prähistorischen Archäologie angekommen. Prämissen reichen hier von der mehr oder weniger bewussten Annahme einer angeboren weiblichen oder männlichen Natur der Menschen, die Verhalten, Selbstwahrnehmung und Selbstbild, wesentlich bestimmt über die Annahme von mehr als zwei Geschlechtern, bis zur Theorie der vollständigen sozialen Konstruiertheit jeglicher Geschlechter. Zunächst standen Frauen im Mittelpunkt der Geschlechterforschung, sowohl als Forscherinnen wie auch als Gegenstand. Etwas später wurden auch die Geschlechterrollen, -ideale und -ideologien sowie deren Entstehung, Veränderung und Verwirklichung durch tägliches Handeln in den Blick genommen.1

Erfreulicherweise rücken in jüngster Zeit in der Archäologie auch Männer und Männlichkeit in den Blick und es wird explizit auch nach der Konstruktion von Männlichkeiten, sich wandelnden männlichen Rollen und Männlichkeitsidealen gefragt .2 Mit als erste in der deutschsprachigen Archäologie hatte sich die Arbeitsgemeinschaft „Theorie in der Archäologie“ des Themas Männlichkeit angenommen, dem sie bei der Verbandstagung in Nürnberg im Mai 2010 ihre Sitzung widmete. Unter dem Titel „Jagen, Kämpfen, Saufen? Die Konstruktion von Männlichkeit in ur- und frühgeschichtlichen Gesellschaften“ wurden sieben sehr heterogene Vorträge gehalten, deren zeitlicher Rahmen von der Bronzezeit bis zum Frühmittelalter reichte. Der Schwerpunkt lag dabei mit drei Beiträgen auf der keltischen Eisenzeit. Leider hatte sich die Ironie des Titels nicht allen ReferentInnen (fünf Männern, zwei Frauen) erschlossen, so dass teilweise tatsächlich Trinkgelage, Kampfbünde und Männer als (Groß)wildjäger im Fokus standen.

Die anregende Einführung hielt NILS MÜLLER-SCHEEßEL (Frankfurt am Main), der vor allem in den Geschichts- und Sozialwissenschaften gegenwärtig diskutierte Fragen um die Konstruktion von Männlichkeiten beleuchtete. Er bezog sich dabei insbesondere auf die Theorie hegemonialer Männlichkeit, die von Raewyn Connell3 entwickelt wurde und sich vor allem auf gegenwärtige, westliche Gesellschafen bezieht. Es bleibt zu überprüfen, inwieweit sich dieses Modell auf die Vorgeschichte übertragen lässt und mithilfe archäologischer Quellen und Methoden untersucht werden kann.

Im ersten Vortrag, einer Fallstudie zum urnenfelderzeitlichen Gräberfeld von Neckarsulm, stellte STEFFEN KNOPKE (Zürich) den ungewöhnlichen Fall einer kleineren Nekropole in Neckarsulm vor, in der ganz überwiegend Männer beigesetzt wurden und dies zudem auffallend häufig in Mehrfachbestattungen. Die Geschlechtsbestimmung erfolgte durch anthropologische Analyse. Weiterhin auffällig ist ein gegenüber gleichzeitigen Gräberfeldern erhöhter Anteil an Waffenbeigaben und Trinkgefäßen. Daraus leitete Knöpke ab, dass hier eine kriegerische Männergefolgschaft bestattet wurde, deren Zusammenhalt unter anderem durch Bewirtungen durch den Anführer und gemeinsames Trinken hergestellt wurde.

MATTHIAS JUNG (Frankfurt am Main)beleuchtete im zweiten Beitrag eine ethnologische Kategorie, den Big Man, die für die Beschreibung von Herrschaftstrukturen prähistorischer europäischer Gesellschaften ausgesprochen gerne herangezogen wird . Er machte deutlich, mit welchen sehr spezifischen Merkmalen dieser ursprünglich für Melanesien geprägte Begriff verbunden war und wie er bei seiner Übernahme in die Archäologie erweitert und verallgemeinert wurde. Zum Teil werden Big Men als wesentliches Merkmal einer ganzen Zivilisationsstufe und als universelles Modell verstanden, das zwangsläufig eintrete, sobald gewisse technische und kulturelle Errungenschaften gegeben sind. Dem gegenüber plädierte Jung für eine wesentlich differenziertere Verwendung und die Nutzung eigener Bezeichnungen für beispielsweise wichtige, wohlhabende oder einflussreiche Personen der mitteleuropäischen Vorgeschichte.

Nach der Mittagspause widmete PATRICK WAGNER (Freiburg im Breisgau) seinen Vortrag, „Mannsbilder – Darstellungen der Jagd in der Ikonographie der frühen Eisenzeit und ihre soziale Bedeutung“, dem ersten der drei im Sitzungstitel genannten Begriffe. Anhand einer großen Zahl von Abbildungen aus verschieden Kulturen und Räumen der Eisenzeit, darunter Situlendarstellungen und Felsbilder, verdeutlichte er seine These eines männlichen Initiationsritus. Die Darstellungen einzelner, oft unbekleideter Männer mit Tieren oder Pflanzen seien nicht als simple Jagdszenen zu deuten, sondern stellten Rituale dar, in denen sich junge Männer außerhalb ihres Sozialverbandes und inmitten der Wildnis einer Prüfung und einer rituellen Wiedergeburt stellen müssten, um in die Gruppe der erwachsenen Männer aufgenommen zu werden. Zugleich stelle die Jagd in der Eisenzeit generell einen wichtigen Faktor in der Konstruktion von Männlichkeit dar.

Anschließend fragte SABINE RICKHOFF (Leipzig) unter dem Titel „Raubgierig, kriegslüstern, trunksüchtig?“ nach dem Männlichkeitsideal der Eisenzeit. Sie legte dar, dass der Topos des kriegerischen, unzivilisierten nördlichen Barbaren, den griechische und römische Autoren vielfach beschrieben, sich bis heute auf das Bild keltischer Männer auswirke, sei es in populären oder wissenschaftlichen Darstellungen. Dem gegenüber stellte sie die zahlenmäßig eher untergeordnete Rolle von Waffen in den meisten latènezeitlichen Gräberfeldern und besonders reich ausgestatteten Gräbern sowie die Selbstdarstellungen in Form der Großplastiken der Späthallstatt- und Frühlatènezeit, bei denen das Kriegerische nicht im Vordergrund steht.

Nils Müller-Scheeßel stellte Synchrone und diachrone Veränderungen von männlichen Identitäten während der Älteren Eisenzeit Mitteleuropas vor. Die bereits vielfältig betrachteten Gräberfelder der späten Hallstattzeit in Südwestdeutschland bieten auch für die Geschlechterforschung ein breites und gut auswertbares Material. Müller-Scheeßel demonstrierte, dass sich die Beigaben dieser Nekropolen bei den reicher ausgestatteten Gräbern zum guten Teil in zwei gegensätzliche Kombinationsgruppen einteilen lassen, die als männlich und weiblich gedeutet werden können. Diese Gruppen veränderten sich über die chronologischen Stufen und böten die Möglichkeit, sich wandelnde männliche Identitäten oder Darstellungen nachzuzeichnen. Allerdings müsse die Mehrzahl der Gräber auf den meisten Nekropolen aus dieser Betrachtung ausgeschlossen werden, da sie nicht genügend Grabbeigaben enthalten, die einer der Kombinationsgruppen zugewiesen werden können.

In einem zeitlich wie räumlich weit ausgreifenden Vortrag zeichnete SVEND HANSEN (Berlin) „Die Geburt des Helden“ nach. Diese grundlegend wichtige Figur männlicher Narrative sei keine anthropologische Grundkonstante, sondern im 4. und 3. Jahrtausend v.Chr. zwischen dem Nahen Osten und Mitteleuropa entstanden. In diesem Zeitraum würden erstmals Bilder und Erzählungen geschaffen, die Helden oder Heroen darstellen und als Beginn des dauerhaften männlichen Topos des Helden gewertet werden könnten.

Der abschließende Vortrag von LAURY SARTI (Hamburg): „Vom Soldat zum Krieger? Vorstellungen von Männlichkeit zwischen Spätantike und Frühmittelalter“, behandelte den Umbruch bei Grabbeigaben von Männern, der mit dem Ende des Römischen Reiches im nordwestlichen Mitteleuropa verbunden ist. Über Jahrhunderte waren im Römischen Reich kriegerische Auseinandersetzungen Aufgabe der professionellen Soldaten. Mit der zunehmenden militärischen Bedrohung durch einfallende germanische Verbände scheinen sich die Aufgaben und damit auch Ideale und Darstellung einer größeren Zahl von Männern gewandelt zu haben. Dies lasse sich an einem vom 5. bis zum 7. Jahrhundert deutlich zunehmenden Anteil von Waffen in Männergräbern festmachen.

Schon nach den einzelnen Vorträgen war viel und zum Teil kontrovers diskutiert worden. Die Abschlussdiskussion war dementsprechend ausführlich und lebhaft. Allerdings orientierte sie sich hauptsächlich an der aus den Vorträgen der Nachmittagssektion resultierenden Frage, inwieweit sich Männlichkeitskonstruktionen im archäologischen Bild wirklich fassen lassen. Die methodisch spannende Frage, die vor allem Matthias Jung aufgeworfen hatte und die auch in den Vorträgen von Svend Hansen oder Laury Sarti aufschien, mit welchen Konzepten wir überhaupt an die Suche nach solchen Konstrukten gehen, fiel etwas zu kurz aus. Denn es stellt sich tatsächlich die Frage, mit welchen Gesellschaftsmodellen Konzepte wie Big Men, Helden, Krieger oder einfach ‚nur’ Männer zu verbinden sind und in welchen gesellschaftlichen Konstellationen sie fehlen oder nicht explizit werden.

Es ist der Arbeitsgemeinschaft Theorie hoch anzurechnen, dass sie ein innovatives, anspruchsvolles und bedeutsames Thema für ihre Sitzung 2010 gewählt hatte. Die Beiträge dazu bewegten sich fast unvermeidlicherweise auf unterschiedlichem theoretischen Niveau und hatten verschiedene, zum Teil auch gegensätzliche Prämissen. Leider wurden diese nur zum kleineren Teil explizit benannt. Hilfreich wäre eine umfassendere Einführung oder ein längerer Grundlagenvortrag gewesen, der die verschiedenen Ansätze, Prämissen und Fragestellungen der Geschlechter- oder Männerforschung dargelegt hätte. Mit der Sitzung in Nürnberg ist ein Anfang gemacht, Männlichkeiten, Männerrollen, männliche Ideale, männliche Lebenspraxis und Männerbilder als Gegenstände der deutschsprachigen Archäologie einzuführen. Da wir, wenn wir über Archäologie reden, immer auch über Menschen reden (sollten), sind diese Themen für alle Bereiche des Faches von Belang. Sie werden zudem künftig als notwendiges Gegenstück zu den weiblichen Aspekten auch die archäologische Geschlechterforschung bereichern und verändern.

Konferenzübersicht:

Nils Müller-Scheeßel(Frankfurt am Main): Einführung in das Thema

Steffen Knöpke(Zürich): Männer, Krieger, Tischgenossen – Der urnenfelderzeitliche Männerfriedhof von Neckarsulm

Matthias Jung (Frankfurt am Main): Der „Big Man“ als Verselbständigung eines theoretischen Konstruktes von Männlichkeit

Sabine Rieckhoff (Leipzig): Raubgierig, kriegslüstern, trunksüchtig? Fragen zum Männlichkeitsideal der Eisenzeit

Patrick Wagner (Freiburg im Breisgau): Mannsbilder – Darstellungen der Jagd in der Ikonographie der frühen Eisenzeit und ihre soziale Bedeutung

Nils Müller-Scheeßel (Frankfurt am Main): ‚Wann ist man ein Mann?’ Synchrone und diachrone Veränderungen von männlichen Identitäten während der Älteren Eisenzeit Mitteleuropas

Svend Hansen (Berlin): Die Geburt des Helden

Laury Sarti (Hamburg): Vom Soldat zum Krieger? Vorstellungen von Männlichkeit zwischen Spätantike und Frühmittelalter

Anmerkungen:
1 Vgl. international unter anderem zuletzt: Liv Helga Dommasnes / Tove Hjørungsdal / Sandra Montón-Subías / Margarita Sánchez-Romero / Nancy L. Wicker (Hrsg.), Stituation Gender in European Archaeologie. (Archaeolingua Series Minor 29), Budapest 2010. Als jüngster deutschsprachiger Überblick vgl. Ulrike Rambuscheck (Hrsg.), Zwischen Diskursanalyse und Isotopenforschung. Methoden der archäologischen Geschlechterforschung (Frauen – Forschung – Archäologie 8), Münster 2009.
2 Bernard A. Knapp, Boys will be Boys: Masculinist approaches to a Gendered Archaeologie, in: Lelley Hays-Gilpin / David S, Whitley (Hrsg.), Reader in Gender Archaeology, London 1998, S. 365-373.
3 Raewyn Connell, Masculinities, Cambridge 1995; Raewyn Connell / James W. Messerschmidt, Hegemonic masculinity: rethinking the Concept, in: Gender and Society 19 (2005), S. 829-859.


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